Eindrücke von Daniel Baldig

»Vom Krieg zum Frieden« – Oft schon haben wir darüber gesprochen, speziell seit Februar 2022, dem Beginn des großflächigen Angriffs der russischen Armee auf die Ukraine. Ich will Dir berichten von einer Tagung, die eben diesen Titel trug. Veranstalter waren der Dietrich-Bonhoeffer-Verein und die Martin-Niemöller-Stiftung. Beide Vereine arbeiten u. a. daran, von ihren jeweiligen Namensgebern aus theologisch fundiert und politisch wachsam in die Gesellschaft zu wirken.

Die Tagung war programmatisch sehr dicht, es gab eine Vielzahl von Vorträgen und Impulsen, dazu ein Klavierkonzert mit Lesung, einen Gottesdienst und abschließend eine Podiumsdiskussion. Als Schwerpunkt und Eigeninteresse der Tagung nannten die Veranstalter: Stärkung friedensethischer Positionen jenseits militärischer Optionen angesichts öffentlicher Verächtlichmachung pazifistischer Traditionen in Kirche und Gesellschaft.

Ich werde einzelne Programmpunkte streifen, Dir vor allem aber meine Beobachtungen und eigenen Gedankengänge berichten.

Nach meiner Wahrnehmung kamen die etwa achtzig Tagungsteilnehmer überwiegend aus pazifistisch-kirchlichen Traditionen. Hierin lag ein wichtiger Faktor für den Tagungsverlauf angesichts der überwiegenden medialen Engführung zum russischen Angriffskrieg, wonach deutsche politische Verantwortung allein in der militärischen Option liegen könne.

Mich hat beeindruckt, wie intensiv bei den Tagungsteilnehmern um eine eigene verantwortbare Position konkret in der Frage, wie aus Pazifistisch-christlicher Perspektive auf diesen Angriffs-krieg zu reagieren sei, gerungen wurde. Mehrfach hatte ich den Eindruck, die eigenen, nicht zuletzt in friedensethischen kirchlichen Traditionen gewachsenen Grundüberzeugungen seien durch die reale Kriegsgewalt herausgefordert und müssten sich im Umfeld öffentlicher Stigmatisierung (Stichwort »Lumpenpazifismus«) bewähren.

Die allermeisten Tagungsteilnehmer dürften Mit-glieder einer der beiden Großkirchen gewesen sein. Mein Eindruck war, zu dem Schmerz über die mediale Verächtlichmachung einer eigenen pazifistischen Position komme noch der Schmerz über die ausbleibenden Friedensworte der Kirchen, ja sogar über deren Preisgabe der eigenen friedensethischen Tradition.

Als Schwerpunkt der Tagung hatte ich Dir die Stärkung friedensethischer Positionen jenseits militärischer Optionen genannt. Hierzu wurden zunächst Friedenstraditionen nach 1945 aus Kirche und Gesellschaft in Erinnerung gerufen – namentlich die Entspannungspolitik Willy Brandts und Olof Palmes sowie die friedensethischen Impulse aus dem Bund der Evangelischen Kirchen in der DDR. Anschließend wurde über die Logik des Friedens anhand von Erkenntnissen der Friedensforschung (Wie geht Frieden?) referiert.

Friedrich Kramer, Landesbischof der Evangelischen Kirche in Mitteldeutschland und Friedens-beauftragter der EKD, sprach zum Ende des ersten Tages über den aktuellen Stand der friedens-ethischen Auseinandersetzung auf EKD-Ebene. Womöglich hat er aus Sicht der Mehrheit der Tagungsteilnehmer den wichtigsten Vortrag gehalten. Als aus Reihen der Kirchen öffentlich profiliertester Kritiker von Waffenlieferungen an die Ukraine und Befürworter von Verhandlungen dürfte Friedrich Kramer für Viele »Bruder im Geiste« gewesen sein. Tagungsteilnehmer äußerten, die Darstellung seiner Argumente gegen Waffen-lieferungen (u. a. deren Dynamisierungslogik und die Frage globaler Nahrungsmittelversorgung bei fortdauerndem Kriegsgeschehen) würden bei der eigenen Positionierung helfen. Friedrich Kramer wies darauf hin, im Rat der EKD vertrete er zur Frage der Waffenlieferungen an die Ukraine eine Minderheitenposition; allerdings habe man sich im Rat der EKD zugesichert, diese Mehrstimmigkeit zu respektieren, nach innen wie nach außen. Ist das nicht großartig? Diese Art des Umgangs miteinander sollte Schule machen im Bewusstsein dessen, dass sowohl ich als auch der Andere um eine verantwortbare Entscheidung ringen.

Der zweite Tag begann mit Vorträgen über die Aktualität der friedensethischen Position von Dietrich Bonhoeffer bzw. Martin Niemöller. Beide Referenten nahmen im Verlauf der Tagung aktiv an den offenen Diskussionen teil und vertraten deutlich wahrnehmbar eine eigene (übrigens: eine gegensätzliche) Haltung in der Frage der militärischen Unterstützung der Ukraine. In ihren Referaten widerstanden sie jedoch ausdrücklich der Versuchung, aus den friedensethischen Positionen bei Bonhoeffer bzw. Niemöller eine konkrete Ableitung zu gegenwärtigen Herausforderungen zu machen; das hat mich beeindruckt.

Mit den Vorträgen zu Bonhoeffer und Niemöller war das Tagungsprogramm zu den »pazifistischen Traditionen in Kirche und Gesellschaft« abgeschlossen. Es folgte die Präsentation der Initiative Sicherheit neu denken, die beispielhaft für die »Stärkung friedensethischer Positionen jenseits militärischer Optionen« steht. Die Initiative ist in der Badischen Landeskirche entstanden und hat eine Vision entwickelt, wonach sich Deutschland bis zum Jahr 2040 schrittweise auf eine komplett zivile (also nicht-militärische) Sicherheitspolitik umstellt. Seitens der Tagungsteilnehmer wurden die ambitionierten und konkreten Ziele der Initiative begrüßt, gleichzeitig wurden die tatsächlichen Möglichkeiten der Umsetzung infrage gestellt.

Gibst Du mir Recht, wenn ich die Tagung ein-gangs als »programmatisch dicht« bezeichnet habe?

Zum Tagungsabschluss hatten die Veranstalter eine Podiumsdiskussion mit dem Titel »Friedens-positionen im Krieg: Gemeinsamkeiten und Kontroversen« bestimmt. Mir schien, die Podiumsdiskussion sollte den Raum öffnen für unterschiedliche, vielleicht sogar gegensätzliche Positionen speziell im Blick auf den Krieg in der Ukraine. Dabei vertraten Gabriele und Peter Scherle diejenige Position, welche die militärische Unterstützung der Ukraine befürwortet, Theodor Ziegler und Gottfried Orth diejenige, welche diese Form der Unterstützung ablehnt.

Um es vorweg zu nehmen: Dem Anspruch der Öffnung einer konstruktiven, strittigen Diskussion konnte dieses Format meines Erachtens letztlich nicht genügen. Die vier Diskutanten trugen zu Beginn kurze Impulse vor, welchen ich aufgrund ihrer inhaltlichen Dichte nicht in Gänze folgen konnte. Insbesondere die Darlegungen von Gabriele und Peter Scherle hätten einer tieferen Betrachtung bedurft, denn ihre Position war im Tagungskontext völlig neu.

Es fällt mir reichlich schwer, Dir den Diskussionsverlauf zu schildern. Ich konzentriere mich daher auf die wesentlichen Diskussionsergebnis-se.

Einigkeit bestand darin, dass das eigene theologische Verständnis (Gottesbilder, Menschenbilder, Tradition der Bibelinterpretation, Lehre von den letzten Dingen) entscheidend sei für politische Entscheidungen aus dem Glauben heraus. Als Beispiel: Sehe ich die Welt eher als Werk Gottes oder eher als Werk der Menschen? Daneben wurde auch deutlich, wie abhängig die Positionierung in Friedens- und Kriegsfragen von der eigenen Biographie sowie der politischen Analyse ist. In diesem Zusammenhang wurde (meines Erachtens berechtigterweise) kritisiert, dass bei der Gestaltung der Tagung die politikwissenschaftliche Be-wertung des Kriegs in der Ukraine zu kurz gekommen und somit die notwendige Grundlage für eine politische Analyse versäumt worden sei.

Strittig blieb in der Diskussion, welche Ableitungen sich aus der Vorstellung eines Gerichts Gottes am Ende der Zeiten ergäben: Auf der einen Seite wurde angeführt, angesichts des erwarteten Gerichts Gottes dürften wir Menschen nicht Gerechtigkeit in Eigenregie schaffen wollen, der Ukraine müsse also das Recht auf Selbstverteidigung zu-gestanden und sie müsse hierzu militärisch unter-stützt werden; dem wurde entgegen gehalten, der Glaube an ein Gericht Gottes weise dem Menschen geradewegs den Bereich der Gewaltlosigkeit zu.

Spätestens mit der Ausweitung der Diskussion vom Podium hin zu allen Tagungsteilnehmern kam es bedauerlicherweise zunehmend weniger zu einem Gespräch, stattdessen wurden Statements vorgetragen, welche insbesondere auf die inhaltliche Abgrenzung zu den Positionen Gabriele und Peter Scherles abzielten.

Ich schließe mit zwei Fragen, welche mir im Tagungsverlauf mehrfach kamen. Ich freue mich darauf, sie mit Dir zu diskutieren.

Erstens: Ist eine aktuelle friedensethische Positionierung der Kirchen wichtiger für das Innen (die Gläubigen) oder für das Außen (die Gesamtgesellschaft)? Ich frage mich dies auch angesichts des Bedeutungsrückgangs der Kirchen. Womöglich kommt mir diese Frage eingedenk meiner eigenen Konfessionslosigkeit.

Zweitens: Wie ist damit umzugehen, dass sich die Friedensarbeit mächtigen Gegenspielern wie geo-strategischen Interessen politischer Mächte, dem militärisch-industriellen Komplex, der Eigendynamik von Militärs und Geheimdiensten gegenübersieht?

Im Tagungsgottesdienst haben mir die Gebete sehr gefallen.

Daraus: Die Freiheit und der Friede sind Euer gemeinsamer Lebensraum!

Die Hoffnung zieht Euch weiter und die Zukunft lächelt Euch an!