Andreas Pangritz:

"Der ganz andere Gott will eine ganz andere Gesellschaft"

Das Lebenswerk Helmut Gollwitzers (1908-1993)

Kohlhammer Verlag 2018, 100 S., 15 €, ISBN 978-3-17-034447-1

Helmut Gollwitzer, Pfarrer der Bekennenden Kirche, hat sich als Theologe in der Bundesrepublik mit gesellschaftspolitischen Herausforderungen und mit philosophischen Anfragen an die christliche Theologie auseinandergesetzt.

Helmut Gollwitzer galt in meiner Studienzeit als Theologe, dessen Bücher man lesen musste. Es war allgemein bekannt unter TheologInnen, dass Gollwitzer in seinem Buch „und führen, wohin du nicht willst“ seine Erfahrungen in sowjetischer Kriegsgefangenschaft niedergeschrieben hatte. Sein Werk „Krummes Holz – aufrechter Gang“ gehörte zu der Literatur, die mich seit meiner Studienzeit begleitet hat. Fragt man heutzutage Studierende nach Helmut Gollwitzer, dann erhält man meistens die Antwort, dass man ihn nicht wirklich kenne.

Das handliche Buch von Andreas Pangritz, emeritierter Professor für Systematische Theologie in Bonn, kann hier Abhilfe schaffen. Pangritz informiert in verständlicher Weise über Leben und Werk des bedeutenden Menschen und Theologen Helmut Gollwitzer.

Da Pangritz auch ein ausgewiesener Bonhoeffer-Kenner ist, überrascht es nicht, dass es Querverweise zu Dietrich Bonhoeffer, einem Zeitgenossen Gollwitzers, gibt. Bonhoeffer und Gollwitzer waren Mitstreiter in der Bekennenden Kirche. Pangritz verweist auf einige Unterschiede zwischen beiden. Besonders interessant ist der Hinweis auf Gollwitzers Kritik an Bonhoeffers gewagter These „Wer sich wissentlich von der Bekennenden Kirche in Deutschland trennt, trennt sich vom Heil“.

Neben dieser theologischen Differenz lässt sich bei Gollwitzer auch ein anderes Verhalten im Hinblick auf öffentlichen Protest gegen die Übergriffe gegenüber den Juden in der Progromnacht feststellen. Während Bonhoeffer sich zu der Progromnacht 1938 nicht öffentlich äußerte, ergriff Gollwitzer in seiner Predigt am Buß- und Bettag die Gelegenheit, seine Gedanken über die schrecklichen Vorfälle gegen die Juden öffentlich kund zu tun.

Ein weiterer entscheidender Unterschied zwischen den Zeitgenossen Bonhoeffer und Gollwitzer ergibt sich durch die Ermordung Dietrich Bonhoeffers am 9. April 1945. Bonhoeffers Leben wurde durch die Ermordung abgebrochen. Deshalb bleibt es bei Vermutungen, wie dieser wohl im Nachkriegsdeutschland gedacht und gehandelt hätte. Mit Gollwitzers Leben liegt im Unterschied dazu ein Beispiel vor, wie ein Theologe aus der Bekennenden Kirche nach dem Kirchenkampf weitergedacht und sich gesellschaftspolitisch engagiert hat.

Das erfahren wir durch das Buch von Pangritz über Gollwitzers Lebenswerk. Es liefert einen wichtigen Beitrag zur Kirchen- und Theologiegeschichte des 20. Jahrhunderts.

Pangritz stellt Gollwitzers Lebenswerk in neun Kapiteln vor. Im Einleitungskapitel wird auf Gollwitzers bleibende Bedeutung hingewiesen. Diese erwächst aus dessen grundlegendem Denkansatz, Theologie nicht als dogmatisches System, sondern als Herausforderung für die je anstehende Praxis zu betreiben. Um nun dem Missverständnis zu entgehen, dass Gollwitzer durch den konkreten Praxisbezug seiner Theologie heute veraltet sei, fragt Pangritz nach der bleibenden Bedeutung dieses politisch engagierten Theologen. Die bleibenden Relevanz Gollwitzers ist in seiner Dialogfähigkeit zu sehen. So setzt Pangritz in der Darstellung von Gollwitzers Lebenswerk den Schwerpunkt in der Würdigung dieses Theologen als „Brückenbauer“.

Gollwitzer hat seine „dialogische Theologie“ unter anderem in seinem Werk „Krummes Holz – aufrechter Gang“ in der Begegnung mit dem Atheismus entfaltet. Außerdem hat er sich für den christlich-jüdischen Dialog stark gemacht.

Gollwitzer war ein schwieriger Zeitgenosse, weil er sich nicht für eine Seite vereinnahmen ließ. Seine Kritik am stalinistischen Kommunismus implizierte kein unkritisches Einverständnis mit dem Kapitalismus. Er verstand im Gegenteil den Marxismus als Anfrage an die Theologie und als Instrumentarium, das kapitalistische Wirtschaftssystem zu hinterfragen.

Es ist der Verdienst des Buches „Der ganz andere Gott will eine ganz andere Gesellschaft“, diese verschiedenen Facetten des Theologen Helmut Gollwitzers darzustellen und damit herauszustellen, dass gerade diese grundsätzliche differenzierte theologische Sichtweise auf Ideologien, Theologie und zeitgeschichtliche Herausforderungen die bleibende Bedeutung dieses Theologen Gollwitzers ausmacht. Der dialogische Ansatz bei Gollwitzer ist auch heutzutage in unserer säkularisierten Welt notwendiger denn je.

So ist das Buch von Pangritz zu würdigen als ein kompaktes Vermitteln von Wissen über den Theologen Helmut Gollwitzer, lesenswert vor allem auch für die junge Generation von Theologinnen und Theologen.

Diese informative Lektüre macht auch Lust darauf, Bücher von Gollwitzer im Original zu lesen. Im ausführlichen Literaturverzeichnis kann man fündig werden.

Dr. Beate Schutte


„Polyphonie des Lebens“

Zu Dietrich Bonhoeffers „Theologie der Musik“

3., erweiterte Auflage, Kohlhammer 2020, 89 Seiten, 15 €, ISBN 978-3-17-039656-2

Andreas Pangritz, Professor (em.) für Systematische Theologie, erweist sich als Interpret von Bonhoeffers Reflexionen über Musik in Verbindung mit theologischen Äußerungen in den Gefängnisbriefen als besonders geeignet, da er nicht nur Theologie, sondern auch Musikwissenschaft studiert hat.

Der Autor beginnt sein Buch „Polyphonie des Lebens“, indem er Bonhoeffers musikalische Biografie nachzeichnet. Es ist spannend, hier eine ganz andere Seite bei dem Theologen und Widerständler Dietrich Bonhoeffer kennenzulernen. Interessant zu lesen ist, welche Musikrichtung Bonhoeffer im Laufe seines Lebens bevorzugte. Diese Fragestellung durchzieht das ganze Buch. Die LeserInnen werden mitgenommen in einen Veränderungsprozess bezüglich Bonhoeffers Musikvorlieben, die verknüpft werden mit Bonhoeffers theologischem Denkprozess. Als Musik- und Bonhoeffer-Experte expliziert Pangritz in beachtlicher Weise den Zusammenhang von Polyphonie in der Musik mit Bonhoeffers theologischem Denken.

Der Titel des Buches „Polyphonie des Lebens“ ist ein Stichwort aus den Gefängnisbriefen.

So bezieht sich der Autor auch vorwiegend auf Texte aus Bonhoeffers letzter Lebensphase.

Pangritz versteht Bonhoeffers Äußerungen über Musik als Einleitung und Kommentar zu dessen neuen theologischen Gedanken. Die kontrapunktische Musik regt Bonhoeffer zu der theologischen Überlegung an, dass kontrapunktische Themen wie Schmerz, Leidenschaften und irdische Liebe sowohl auf die Gottesliebe (cantus firmus) bezogen sind, als auch ihre eigene Berechtigung haben, weil sie „zur Polyphonie des ganzen Lebens gehören“.

Wie Bonhoeffers stringente christologische Ausrichtung seiner Theologie so sei sein Denken auch im Blick auf die Musik christologisch bestimmt. Diese christologische Konzentration verleihe der Musik einen „Spielraum der Freiheit“.

Und sie begründe auch im Bereich der Musik Bonhoeffers Hinwendung zur Welt. Dies zeige sich zum einen in einer besonderen Würdigung von Beethoven und zum anderen in einem neuen Blick auf Bach nicht nur als Kirchenmusiker, sondern auch als weltlichen Komponisten. So nimmt der Autor vor allem Bonhoeffers Reflexionen über Johann Sebastian Bachs „Kunst der Fuge“ sowie Beethovens letzte Klaviersonate op. 111 in Augenschein.

Dass nun die Neuauflage des 1994 erstmals vorgelegten Buches, das Wolfgang Huber als „Juwel in der Literatur über Dietrich Bonhoeffer“ bezeichnet, erschienen ist, ist vor allem für an Bonhoeffer Interessierte zu begrüßen.

Dr. Beate Schutte