Heft 75
Friedenstüchtig werden – ethisch und theologisch, ökonomisch und ökologisch

Inhalt
► Prof. Dr. Andreas Pangritz:
Editorial
► Dr. Uwe-Karsten Plisch:
Begrüßung
► Prof. Dr. Hajo Funke:
Die Chance für Frieden nach drei Jahren Ukraine-Krieg
► Dr. Angelika Claußen:
Highway to Hell – Road to Peace: Was hilft, um die gleichzeitigen ökologischen und Kriegskatastrophen zu überwinden?
► Pfarrer i. R. Dr. theol. Wolfgang Gern:
Leidenschaftlich für soziale Gerechtigkeit – Ökumenische Impulse in sechs Schritten
► Prof. Dr. Franz Segbers:
Kanonen statt Butter. Von der militärischen zur sozialstaatlichen Wende?
► Prof. Dr. Franz Segbers:
Sozialstaat und sozialer Friede (Impulsreferat für einen Workshop)
► Prof. Dr. Andreas Pangritz:
Dietrich Bonhoeffer, Krieg und Frieden (Impulsreferat für einen Workshop)
► Pfr. i. R. Michael Karg:
Martin Niemöller, seine Haltung und sein Handeln für den Frieden (Impulsreferat für einen Workshop)
► Prof. Dr. Dr. h. c. Margot Käßmann:
Glauben, Theologie, Gewaltfreiheit, Pazifismus, Frieden
► Prof. Dr. Dr. h. c. Margot Käßmann:
»Wachet, steht im Glauben, seid mutig und seid stark! Alle eure Dinge lasst in der Liebe geschehen!«
► Pfr. i. R. Reinhard Müller:
Klage, Tagesgebet und Fürbitten
► Dr. Uwe-Karsten Plisch:
Tagungsrückblick
► Verzeichnis der Autorinnen und Autor
Editorial
Prof. Dr. Andreas Pangritz
Liebe Leserinnen und Leser,
»Friedenstüchtig werden – ethisch und theologisch, ökonomisch und ökologisch« – unter diesem Motto wurde vom 7. bis zum 9. März 2025 eine Tagung der Martin-Niemöller-Stiftung und des Dietrich-Bonhoeffer-Vereins im Augustinerkloster in Erfurt durchgeführt. Durch die wenige Tage vor Beginn der Tagung bekannt gewordene Wende in der Außenpolitik der Vereinigten Staaten, was die Antwort auf den Krieg Russlands gegen die Ukraine betrifft, hatte das Tagungsthema eine Brisanz erhalten, die bei der Planung zwar bereits erahnt werden konnte, aber in ihrer aktuellen Relevanz noch nicht so deutlich vor Augen gestanden hatte.
In der Einladung zur Tagung hatte es u. a. geheißen:
»Fest entschlossen, künftige Geschlechter vor der Geißel des Krieges zu bewahren«, zeigten sich die Vereinten Nationen bei ihrer Gründung im Jahr 1945. Um »den Weltfrieden und die internationale Sicherheit zu wahren«, sollten »internationale Streitigkeiten oder Situationen, die zu einem Friedensbruch führen könnten, durch friedliche Mittel nach den Grundsätzen der Gerechtigkeit und des Völkerrechts« beigelegt werden. »Krieg soll nach Gottes Willen nicht sein«, hat der Weltkirchenrat bei seiner Gründung im Jahr 1948 erklärt. Zulange hatte man überhört, dass Jesus die Pazifisten – die »Friedensmacher« – glücklich preist (Mt 5,9).
»Nie wieder Krieg!« Welche unserer Regierungen und welche unserer Kirchenleitungen nimmt heute noch die pazifistischen Zielsetzungen aus der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg ernst? Gewiss, alle sind für den Frieden; dieser soll aber wie einst durch »allseitige friedliche Aufrüstung« (Dietrich Bonhoeffer, 1934), Militarisierung der Gesellschaft im Innern und militärische Abschreckung nach außen erreicht werden. Doch: »Wer den Frieden will, muss die Verständigung mit dem Gegner wollen« (Martin Niemöller, 1953); andernfalls ist sein Friedenswille nicht glaubwürdig. Stattdessen wird heute schon der Ruf nach mehr Diplomatie als weltfremd, naiv und verantwortungslos diffamiert.
In dieser heillos verfahrenen Lage, in der die friedensethischen Erkenntnisse von einst für überholt erklärt werden, und angesichts einer Kirche, die die angebliche »Zeitenwende« mit lautem Schweigen begleitet, wurde auf der Erfurter Tagung die Frage gestellt: Wie können wir wieder friedenstüchtig werden? In Plenumsvorträgen suchten Fachleute unterschiedlicher Disziplinen Antworten auf die wachsende Gefahr: Der Politikwissenschaftler Hajo Funke fragte: »Was heißt Friedenspolitik in den Zeiten von Kriegen und Demokratiegefährdung?« Die Ärztin Angelika Claußen beschrieb die Ökologie- und Klimakatastrophen als »Highway to Hell« und fragte nach ihrer möglichen Überwindung. Der evangelische Theologe Wolfgang Gern berichtete von »ökumenischen Impulsen«, die sich »leidenschaftlich für soziale Gerechtigkeit« einsetzen. Der Sozialethiker und Theologe Franz Segbers beschrieb die akute Gefahr, dass sich die »militärische Zeitenwende« als »sozialstaatliche Wende« herausstellen werde: »Kanonen statt Brot«. Die ehemalige Ratsvorsitzende der EKD Margot Käßmann umschrieb die Stichworte »Glauben, Theologie, Gewaltfreiheit, Pazifismus« als Wegmarken auf dem Weg zum »Frieden«. Ergänzt wurden die Plenumsvorträge durch knappe Impulse in unterschiedlichen Arbeitsgruppen sowie durch einen Abschlussgottesdienst in der Evangelischen Augustinerkirche in Erfurt. Umrahmt wurde die Tagung durch ein Grußwort und einen Rückblick von Uwe-Karsten Plisch, des Vorsitzenden der Martin-Niemöller-Stiftung und des Dietrich-Bonhoeffer-Vereins.
Angesichts der rasanten innen- und außenpolitischen Entwicklungen in den letzten Wochen ist es unvermeidlich, dass die Vorträge seit der Tagung in Erfurt in manchen Details durch die Tagesaktualität schon wieder »überholt« sind. Die darin angesprochenen Grundlinien sind aber nach wie vor gültig; ihre kritischen Pointen haben sich eher noch verschärft.
Allen Leserinnen und Lesern wünsche ich eine anregende Lektüre, die ihre Friedenstüchtigkeit und Kritikfähigkeit im Blick auf die von Kriegen geprägte internationale Lage stärken möge.
