Sonderheft Theo-Poesie

Dietrich Bonhoeffers späte Wende zu einer poetischen Theologie

Cover Sonderheft Theo-Poesie

Editorial

Vorweg dies: Theo-poetisch von Gott reden – Eine Meditation zu Beginn.

THEOLOGIE will in diskursiv-argumentierender Sprache „Gott und die Welt“ erklären. Das ist meist recht schwierig und deswegen auch schwer und kompliziert. So ist Theologie aber nun einmal, die mit menschlich-endlichen Worten die unendliche Weite des Geheimnisses Gott „erklären“ will.

PREDIGT will (soll) dies vermeiden. Sie will (soll) sich direkt an die Menschen wenden, an den konkreten Hörer, direkt, „face to face“ vor mir. Manchmal gelingt dies, manchmal auch nicht. Das ist die Krux des Predigens. Oft ist es doch nur kompliziertes Theologen-„Latein“, was da von den Kanzeln tönt. Aber immerhin: Direkt dran am Hörer, ihm ganz nah, Kompliziertes einfach (nicht vereinfachend) sagen, das will (soll) Predigt sein.

POESIE redet verschlüsselt – „wer Ohren hat, der höre.“ Poesie redet in Bildern der Seele – „wer Augen hat, der schaue.“ Poesie redet aus der Tiefe innerer Erfahrungen heraus – „wer ein Herz hat, der verstehe.“ Poesie ist wie eine Oase in der Wüste, wie eine Insel im Meer der vielen Worte, die wir machen im alltäglichen Leben, in der theologischen Argumentation, in oft ach so schwergewichtigen und schwerfälligen Worten der Predigt. Poesie ist leicht – ist spielerisch – ist erfinderisch – ist auf einer immer neuen Entdeckungsreise der Sprache, oft wie „nicht von dieser Welt“, doch träumend von einer anderen Welt in dieser Welt kündend.

Ich frage mich inzwischen, ob nicht die Poesie die letztlich angemessene Sprache ist, um von Gott zu reden, von ihm zu künden, nicht „über“ ihn zu fabulieren, sondern „aus“ ihm heraus Ewiges in der Zeit transparent werden zu lassen.

Ernst Bloch hat einst gesagt, das könne nur die Musik. In der Harmonie der Töne werde ein Stück Ewigkeit, werde Göttliches in unser Leben gebracht. Ewiges wird zeitlich, „Prinzip Hoffnung“ verliert das schwergewichtig „Prinzipielle“, Hoffnung geht in der Musik über in Erfüllung. „Wer Ohren hat, der höre.“

Ich frage mich inzwischen, ob das mit der Poesie nicht auch so sei. In der Harmonie der Laute unserer Sprache, wenn ein Laut das Gemeinte trifft, zielgenau, laut oder leise, spontan oder bedacht, lautspielerisch oder lautmalend, dann bricht ein Stück Ewigkeit, bricht Göttliches ein in unsere dürftige Zeit, Ewigkeit breitet sich aus, das Firmament unseres Daseins erweitert sich. Und wieder: „Wer Ohren hat, der höre.“

Ich frage mich inzwischen, ob die Poesie nicht letztlich die angemessene Sprache ist, von Gott zu reden, jedenfalls angemessener als das theologische Räsonieren (und sei es noch so differenziert), auch angemessener als das all-sonntägliche Predigen (und sei es noch so geistreich).

Es ist sicher kein Zufall, dass Dietrich Bonhoeffer am Ende seines Lebens im Tegeler Gefängnis weithin auf alle theologischen Argumentationskünste verzichtet und Gedichte geschrieben hat, nichts als Gedichte. „Wer bin ich?“ „Christen und Heiden“ „Stationen auf dem Wege zur Freiheit“, Gedichte, die seiner „Theologie“ (und er war ein leidenschaftlicher Theologe) eine andere, eine neue Sprache verliehen. Ganz einfache Worte, ganz einfache. Zum Beispiel so: „Menschen gehen zu Gott in ihrer Not …, Menschen gehen zu Gott in Seiner Not …, Gott geht zu allen Menschen in ihrer Not.“ Einfache Worte, tiefe Worte, wahre Worte, Sprach-Oasen in der wüsten Wüste theologischer Richtigkeiten. Ich weiß, viele haben das überhört – oder gar nicht erst hingehört. „Ist ja nur Poesie. Nur so dahingesagt, weil er keine Zeit mehr hatte für differenzierte theologische Argumente“, sagen sie. Ach ja. „Wer Ohren hat, der höre.“

Ich frage mich inzwischen wirklich, ob man nur so angemessen von Gott reden kann, nur so, suchend, fragend, tastend, kreisend, nicht so leicht hin, aber leicht werdend, immer leichter werdend, bis nicht mehr „ich“ rede, sondern da redet etwas in mir, das ich gar nicht mehr selbst bin, aber es redet und tastet sich sanft heran an das Geheimnis Gottes, des ach so „Ewigen“, des ach so „Unendlichen“, des ach so Fernen, allzu fernen „Transzendenten“ tastet sich heran, theo-poetische Annäherungen, auf dass Gott selbst redet – in mir, auf dass das Letzte und Letzt-Gültige im diffusen Reich des Vor-Letzten aufleuchte für die, für den, „der Ohren hat zu hören“, für den, der sich öffnet, um zu schauen.